Die Pandemie hat einen Digitalisierungsschub in vielen gesellschaftlichen Bereichen ausgelöst. Auch bei den vom NEUSTART Sofortprogramm geförderten Kultureinrichtungen wurde viel in Aufnahme- und Streaming-Equipment investiert, um, trotz geschlossener Häuser, weiterhin die Programmarbeit am Laufen zu halten und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. „Die Kollegen von der Technik sind innerhalb weniger Wochen vier Technikgenerationen in die Zukunft gepustet worden“, sagt Volker Ißbrücker, der im Literaturforum im Brecht-Haus die Bereiche Bildung und Technik koordiniert. Das Literaturhaus, das ein weltweites Ansehen durch wissenschaftliche Publikationen genießt, hat die Zeit und die Förderungen während der Pandemie genutzt, das Veranstaltungsangebot zu digitalisieren und es so einem bundes- und sogar weltweiten Publikum zugänglich gemacht. Das Literaturforum im Brecht-Haus in der Chausseestraße in Berlin-Mitte ist die dritte Station des Projektbesuchs der fünf Förderreferent*innen des NEUSTART Sofortprogramms.
Mehr Publikum durch Digitalisierung
Vier futuristisch anmutende, fernsteuerbare PTZ-Kameras richten ihre Linsen von den Wänden des Veranstaltungsraumes im Erdgeschoss des ehemaligen Wohnhauses Berthold Brechts auf die Bühne, auf der Autor*innen Bücher vorstellen und Wissenschaftler*innen über Literatur, Kultur, Gesellschaft und Politik diskutieren. Den Hintergrund der Bühne überspannt eine Fotografie Brechts, die den knapp 30-jährigen Literaten sitzend mit Lederjacke und Krawatte in seiner Vorkriegswohnung in der Spichernstraße zeigt. Bis zu 80 literatur- und geschichtsinteressierte Menschen finden hier vor Ort Platz.
Höhere Qualität = weniger Arbeitsaufwand
Eine Wendeltreppe im Veranstaltungsraum führt zu in einer zum Raum geöffneten Zwischenebene. Hier ist das Regiezentrum untergebracht, das großgewachsenen Menschen nur in geduckter Haltung betreten können. Volker Ißbrücker sitzt vor einem Bildschirm, auf dem die Bühne aus den verschiedenen Kameraeinstellungen zu sehen ist. „Wir können Raketen von hier aus bedienen“, bemerkt er scherzhaft. Die blinkenden Aufnahme- und Streaming-Geräte vermitteln den Anwesenden tatsächlich den Eindruck, gleich der nächsten Mondlandung beiwohnen zu dürfen. Ein Teil der Geräte wurde über das Sofortprogramm finanziert. Mit der Unterstützung zweier weiterer Fonds wurde das professionelle Equipment vervollständigt. Das Literaturforum hatte sich bei der Anschaffung beraten lassen und sich für eine qualitativ hochwertige Ausrüstung entschieden, damit der durch das Streaming verursachte höhere Arbeitsaufwand möglichst geringgehalten wird. Für die Produktion eines Streams aus dem Literaturforum werden zwei Techniker benötigt. Einer übernimmt die Kameraregie, der andere regelt den Ton oder übernimmt die Moderation zugeschalteter Zuschauer*innen.
Interaktion
Wurden zu Beginn der Pandemie Veranstaltungen ohne Publikum oder aus dem Hof des Literaturforums gestreamt, kann inzwischen wieder vor vollem Haus gelesen, debattiert und musiziert werden. „Es ist nicht nur so, dass sie sich das Programm online anschauen können. Wir hatten auch schon virtuelles Publikum, das sich an der Diskussion beteiligen konnte“, sagt Ißbrücker von seinem Regieplatz aus. Die virtuellen Zuschauer*innen werden dafür via Zoom auf eine Leinwand neben der Bühne projiziert. Auch namhafte Autoren aus New York und Paris waren auf diese Weise schon Gast in der Chausseestraße. Mit solchen neuen interaktiven Formaten will das Literaturhaus ein jüngeres Publikum ansprechen, dessen Rezeptionsgewohnheiten durch die Digitalisierung geprägt sind, aber auch den Kulturschaffenden selbst neue Darstellungsformen anbieten. Die Zeit der „typischen Wasserglas-Lesungen“ sei vorbei.
Barrierefreiheit
Ißbrücker zeigt den Förderreferent*innen das Video einer Lesung mit der britisch-deutschen Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo, die im Februar 2021 ihr neues Buch im Literaturforum vorgestellt hatte. Ein Dolmetscher, der live aus Hamburg zugeschaltet war, übersetzte die Veranstaltung in Gebärdensprache. Für alle Beteiligten und die Technik eine besondere Herausforderung. Auch wenn ein Gebärdendolmetscher aufgrund des finanziellen Aufwandes nicht als Standard im Literaturhaus angeboten werden kann, verbessert die Digitalisierung der Veranstaltungen und die Bereitstellung der Videos in der Mediathek die Barrierefreiheit für Menschen mit Beeinträchtigungen.
NEUSTART wichtiger Impuls
Dr. Christian Hippe, Leiter des Literaturforums im Brechthaus, hebt, als er gegen Ende des Besuchs zu den im Regieraum Versammelten stößt, nochmals die Bedeutung des NEUSTART Sofortprogramms für sein Haus hervor: „Das war so ein Riesenglücksfall, dass wir da diesen ersten Impuls bekommen haben, um Technik zu kaufen. Der ganze Grundstein zu allem.“
Hanna, Lea, Stephanie, Felix und Sven machen sich auf zu ihrer letzten Station, dem Delphi in Berlin-Weißensee. Fortsetzung folgt...
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