Das Deutsche Theater Göttingen und die Freie Bühne Jena sind in der Krise neue Wege gegangen. Sie haben den öffentlichen Raum als Bühne entdeckt. In Göttingen lebte das Theatergebäude visuell und akustisch auf. In Jena trafen Besucher*innen auf einen menschgewordenen Virus.

Das Deutsche Theater Göttingen (DT) und die Freie Bühne Jena zeigen, wie sie mit innovativen, außergewöhnlichen Aktionen wieder mit dem Publikum real interagieren konnten. Ihr Ziel war es,  Kunst auch bei geschlossenen Bühnen weiterzuführen. Um ihre Theaterprojekte pandemiegerecht umsetzen zu können, haben sie klassische Aufführungsorte verlassen und den öffentlichen Raum als Bühne des Augenblicks genutzt. Das NEUSTART Sofortprogramm stattete sie mit dem nötigen digitalen und technischen Rüstzeug aus.

Das Deutsche Theater in Göttingen

Das Deutsche Theater Göttingen kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Seit seiner Gründung 1890 ist es zum größten und bekanntesten Schauspielhaus Göttingens avanciert. Es wird seit der Spielzeit 2014/2015 von Erich Sidler geleitet. Als Intendant hat er den Anspruch, einen Ort des Diskurses, der realen Begegnung und der vertieften Auseinandersetzung zu schaffen. Für Sidler ist Theater immer auch ein wichtiger Teil gelebter Demokratie. Letztlich geht es ihm dabei um den Austausch über die Frage, wie Menschen miteinander leben möchten.

Das Theater lebt in den Köpfen der Menschen weiter

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, entwickelten Sidler und sein Team fortlaufend Ideen, wie sie ihr Publikum in Zeiten geschlossener Theaterhäuser erreichen können. Unter der Regie von Antje Thoms entstand das Projekt Fragen über Fragen:

Im November 2020 wurde das gesamte Theatergebäude in eine Installation verwandelt. Das Haus wurde für die spielfreie Zeit verbarrikadiert. Verschläge vor den Eingängen sollten die Vereinsamung des Theatergeschehens ausdrücken, die aus der Einstellung des Spielbetriebes folgte. Im selben Zeitraum lebte das Haus jeden Tag um 17.45 Uhr für eine Viertelstunde mit einer Licht- und Toninstallation auf, um den schlummernden Geist des Theaters erlebbar zu machen. Dabei wurde über eine große Verstärkeranlage die Innenstadt Göttingens mit Fragen bekannter Philosophen und Autoren beschallt. Diese durchstreiften das Reich des vermeintlich Alltäglichen und bargen zugleich das Potenzial tieferer Reflexion: „Welches Bein ist Dir beim Gehen sympathischer, das am Boden oder das in der Luft? Wie oft gehst Du ohne festes Ziel vor die Tür? Warum weint man manchmal erst, wenn man getröstet wird?“

Für Regisseurin Antje Thoms sind es vor allem die Fragen und weniger die Antworten, die uns voranbringen. Denn ohne Fragen gibt es keine Irritation, keine Selbstreflexion. Fragen haben die Kraft, etwas zu verändern. Intendant Erich Sidler erklärt: „Das Besetzen des akustischen Raumes einer Stadt wie Göttingen mit Fragen, die uns alle beschäftigen, regelmäßig und lautstark, sendet Signale, dass Theater, auch wenn geschlossen, in den Köpfen der Menschen weiterlebt.“

Einmal auftanken mit Kultur bitte!

Etwas mehr Tuchfühlung mit den Besucher*innen nimmt das Theater in seinem Projekt Tankstelle auf. Thoms und Sidler haben sich dabei von dem Ort inspirieren lassen, der mit seinem Sortiment des täglichen Bedarfs selbst um zwei Uhr morgens schon so manchen Engpass ausgleichen konnte. In der DT-Tankstelle werden kulturelle Gelüste befriedigt, gleich welche Stunde es geschlagen hat. Die Tankstelle stand in unmittelbarer Umgebung des Deutschen Theaters. Besucher*innen verbrachten drei Minuten lang an einem Schalter im Eins-zu-eins-Kontakt mit einem Mitglied des Ensembles. Bei Begegnungen, Literatur, Dramen, Heiterkeit und Musik ließ sich hier wieder geistig und emotional auftanken.

Die Freie Bühne Jena

Im Jahr 2009 gründete eine Gruppe engagierter Menschen den gemeinnützigen Verein Freie Bühne Jena e.V. Daraus ist eine Plattform entstanden für Freies Theater, Amateurtheater und Theaterpädagogik, die neugierige, kreative, kulturwütige und kunstbesessene Menschen durch Theaterprojekte vernetzt. Die Freie Bühne Jena versteht sich als Vertretung freier Theatergruppen und möchte die freie Szene stärken. In verschiedenen Theaterprojekten, die für alle Altersgruppen Möglichkeiten zur Beteiligung bieten, wirken rund 100 Personen mit. Sie bespielen neben der Bühne im Kulturschlachthof Jena regelmäßig ungewöhnliche Orte wie Höhlen, Industriehallen oder Parkplätze.

Konfrontation mit einem menschgewordenen Virus

Der Projektkoordinatorin Franziska Brandt und ihren Mitstreitern kam die Flexibilität bei der Wahl des Aufführungsortes in diesen außergewöhnlichen Zeiten sehr zugute. Mit Ihrem Projekt Stadtgeflüster verwandelten sie die Innenstadt Jenas in einen theatralen Raum. Die Teilnehmer*innen wurden in einer Schnitzeljagd mithilfe von Tablets und der App Actionbound zu vielen kleinen Aufführungsorten gelenkt.

Einer dieser Alltagsorte, ein Springbrunnen auf einem gediegenen Innenstadtplätzchen, wird plötzlich zu einer außergewöhnlichen Szenenfläche. In der Mitte des Springbrunnens stehen zwei junge Frauen Rücken an Rücken. Plötzlich erschallt eine Soundinstallation und die Körper erwachen zum Leben, umkreisen sich, ringen miteinander. Die tanzenden Körper erzählen von Nähe und Distanz, von Streit und Versöhnung. In einer Einkaufspassage springt ein menschgewordenes Virus in die Gruppe der Besucher, konfrontiert sie mit ihren Ängsten und regt zur Auseinandersetzung mit diesen an.

Allen Performances im öffentlichen Raum ist das Thema Krise zugrunde gelegt. Sowohl persönliche als auch gesellschaftliche Herausforderungen werden thematisiert. Jede Szene schließt mit einer Frage ab, die jede*n Einzelne*n ermutigt aktiv über das Erlebte nachzudenken. Was macht Eltern aus eurer Erfahrung zu glücklichen und zufriedenen Menschen? Bleibst du dir treu? Erzähle davon, wer du sein würdest, wenn dich nichts zurückhalten oder einengen würde? Franziska Brandt erklärt: „Es war uns wichtig, dass wir keine „richtige“ Strategie vorgeben, sondern das Publikum selbst, jede*r Einzelne, Pärchen oder gar Fremde in einen Austausch über den momentanen Zustand der Gesellschaft und ihres eigenen Lebens kommen.“ Gerade in dieser Zeit, in der große Teile des gesellschaftlichen Miteinanders und Austauschs verloren gehen, hält Brandt das Mittel des Diskurses und des Austauschs für eine der wichtigsten Strategien mit Krisen umzugehen.

Gestärkt aus der Krise hervorgehen

Dass die Besucher so positiv auf das Format Stadtgeflüster reagierten, hat laut Brandt unterschiedliche Gründe. Zum einen konnten sie Theater und Kunst auf eine neue Weise entdecken, die wenig mit dem klassischen Theaterraum gemein hat. Durch die digitale Schnitzeljagd kam zum anderen ein spielerischer Charakter hinzu, der zur Eigeninitiative, Selbstorganisation und Kommunikation mit den anderen Gästen anregte. Egal ob persönliche oder auch existenzielle Krise, Brandt geht es darum, nicht zu verharren und in Frustration zu verfallen. Krisen können auch genutzt werden, um daran zu erstarken.

Theater zu den Menschen bringen

Eben diese Haltung, sich den Herausforderungen aktiv zu stellen und sie als Motor zu nutzen, verkörpert auch das Deutsche Theater Göttingen. Entsprechend sind auch die Besucher*innenreaktionen. Auf der Webseite der Installation Fragen über Fragen fasst eine Besucherin ihre Eindrücke zusammen: „Es hatte etwas Gespenstisches, gleichzeitig auch Tröstliches: Wir dürfen wohl mal verwirrt sein, uns in Fragen verirren, in Anbetracht all der diesjährigen Veränderungen nah und fern!“

Auch die DT-Tankstelle wurde mit großer Begeisterung vom Publikum aufgenommen. Eine Besucherin schreibt an das Deutsche Theater und bringt die Bedeutung dieses Formats mit einem Augenzwinkern auf den Punkt: „[…] auch wenn ich vergeblich versucht habe, Zigaretten und ‘nen Six-pack zu bekommen, habe ich anstelle dessen so viel bekommen: Nähe (!), Ansprache, Anekdoten und sogar eine Prise Interaktion.“

Kultureinrichtungen wie die Freie Bühne Jena oder das Deutsche Theater Göttingen zeigen, dass es trotz Corona möglich und vor allem nötig ist, Theater zu den Menschen zu bringen und dies ganz gleich, ob in einem barocken Theaterhaus oder auf dem Parkplatz nebenan.


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Das Zimmertheater hat seit dem 16. März 2021 im Rahmen des Tübinger Modellprojektes wieder für Publikum geöffnet. Voraussetzung für die Öffnung ist ein Hygienekonzept, das mithilfe des NEUSTART Sofortprogramms realisiert werden konnte. Im Interview sprechen die Intendanten über strahlende Gesichter bei der Wiedereröffnung und fordern Spielräume für den „Kultursommer“.

NEUSTART: Seit dem 16. März 2021 hat Ihr Theater im Rahmen des Tübinger Modellprojekts nach monatelanger Schließung wieder geöffnet. Wie haben Sie von dieser Entscheidung erfahren?

Ripberger: Die Öffnungsmöglichkeit für unser Theater kam unverhofft. Wir waren zwar zum Ende der Vorwoche „vorgewarnt“ worden, dass ein entsprechender Antrag der Stadt Tübingen beim Ministerium gestellt sei; zu den Erfolgsaussichten konnte es aber naturgemäß keine verbindlichen Aussagen geben.

NEUSTART: Die Entscheidung traf Sie also aus heiterem Himmel?

Ripberger: Niemand war ja Mitte März so kühn-optimistisch, etwas Derartiges zu erwarten. Seit Januar hatte sich doch allgemein die Prognose durchgesetzt: Vor Ostern gebe es ohnehin keine Auferstehung der Kultur. Letztlich war es der 15. März um 17 Uhr, als die Genehmigung des Modellprojekts offiziell vorlag. Um 16:30 Uhr trafen wir Oberbürgermeister Boris Palmer noch zufällig vor dem Buchladen, der zwar positive Signale, aber noch nichts Verbindliches in der Hand hatte. 24 Stunden vor der dann vollzogenen Öffnung.

NEUSTART: Und dann der große Tag: Wie haben Sie die Wiedereröffnung erlebt?

Ripberger: Die Öffnung am Folgetag war ein euphorisches Ereignis mit strahlenden Gesichtern bei den Kolleg*innen. Wir hatten das freudvolle Gefühl schon beinahe ein wenig verlernt, wie es ist, echte Menschen im Theater willkommen zu heißen. Es fühlt sich wunderbar an, ähnlich dem Zauber eines ersten geglückten Theatererlebnisses.

NEUSTART: Und was sagen Ihre Gäste?

Ripberger: Die Gäste sind glücklich und begeistert. Wir haben eine enorme Sehnsucht und Dankbarkeit gespürt. Das hat sich in spontanen Überwältigungsmomenten geäußert, tosendem Applaus, lächelnden Gesichtern, liebevollen Rückmeldungen. Auffällig ist, dass es mucksmäuschenstill ist im Theater. Kein Bonbonrascheln, kein Räuspern. Bei uns kommt das als Wertschätzung dieser kostbaren, intimen Situation an, in die man sich gemeinsam mit den Schauspieler*innen begeben darf. Der Theaterbesuch ist dieser Tage etwas außergewöhnlich Besonderes.

NEUSTART: Wie unterscheidet sich denn ein Theaterbesuch im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit?

Ripberger: Der Besuch im Tübinger Zimmertheater im Modellversuch setzt voraus, dass man sich an einer der städtischen Teststationen ein Tübinger Tagesticket besorgt hat. Nach einem negativen Schnelltest gibt es ein Armband mit QR-Code. Diesen QR-Code zeigt man dem Vorderhauspersonal – und dann darf man rein. Die Auslastung liegt bei ca. einem Drittel der Platzkapazität von vor der Pandemie. Die Dauer der Inszenierungen haben wir bewusst nicht überstrapaziert. Trotz Schnelltest, UV-C Luftreinigung, Frischluft, Abstandsregelungen, Hygienestationen und Plexiglas gilt: die Maske bleibt die ganze Zeit auf. Das ist der wohl größte Unterschied zum Theaterbesuch vor März 2020.

NEUSTART: Zu einem Theaterbesuch gehört in Zeiten der Pandemie auch ein sicheres Hygienekonzept. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Ripberger: Unser Hygienekonzept wurde im April 2020 erstellt – in engem Austausch mit verschiedenen Theatern des Deutschen Bühnenvereins, der ein best-practice Portal bereitgestellt hat, und viel Lektüre von durch Branchenverbände im gesamten deutschsprachigen Raum erstellten Konzepten. Das war und ist ein work in progress, schon um die Anpassungen der regelmäßigen berufsgenossenschaftlichen VBG-Richtlinien einfließen zu lassen. Stand heute verwenden wir Version 8 unseres Hygienekonzepts, das sich stets in der Sakkotasche befindet, falls das Ordnungsamt mal vorbeikommt. Das Hygienekonzept wurde innerstädtisch abgestimmt, mit dem Fachbereich Kultur und der zuständigen Bürgermeisterin.

NEUSTART: Für Ihr Hygienekonzept mussten Sie Raumluftfilteranlagen installieren und bauliche Veränderungen in Ihrem Theater vornehmen. Dafür haben Sie eine Förderung durch das NEUSTART Sofortprogramm erhalten. Was bedeutete für Sie die Förderung des Bundes?

Ripberger: Die Förderung durch das NEUSTART Sofortprogramm war ein wichtiger Impulsgeber und ein Signal des Bundes: Hier wird eine sinnvolle Maßnahme geplant, die nachhaltig einen sicheren Spielbetrieb ermöglicht. Die maximale Fördersumme hat nicht ausgereicht, um alle erforderlichen Maßnahmen durchzuführen, damit unsere Spielstätten Corona-gerecht ertüchtigt werden. Kommune und Land haben uns zusätzlich unterstützt, sodass im Herbst 2020 neben unseren bisherigen beiden Hauptspielstätten im Stammhaus eine moderne, sichere Spielstätte zur Verfügung stand, die auch baulich die Voraussetzung für Abstand bietet: genug Platz.

NEUSTART: Bei Ihnen sind Ihre Zuschauer*innen also bestmöglich vor einer Infektion geschützt?

Ripberger: Wir können stolz und selbstbewusst sagen, dass wir die Richtlinien tendenziell übererfüllen – das war uns auch für den Modellversuch sehr wichtig. Unsere oberste Prämisse war, keinerlei Risiko einzugehen und absolut nichts dem Zufall zu überlassen, denn das Tübinger Modellprojekt hat als Präzedenzfall bundesweit Vorbildfunktion.

NEUSTART: Dennoch halten viele Öffnungen bei steigender Inzidenz für nicht angebracht. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Ripberger: Das Tübinger Modellprojekt leuchtet das Dunkelfeld der Pandemie aus. Die Testdichte ist nirgendwo in Deutschland höher als hier. Nur da, wo Ansteckungsrisiken aufgedeckt werden, werden sie durch rasche Reaktion handhab- und beherrschbar. Schaut man sich den Verlauf der Inzidenz in der Stadt Tübingen an, kann man zu dem Schluss kommen: das Modellprojekt funktioniert. Wir liegen Stand 20. April bei der Hälfte der Inzidenz Baden-Württembergs.

NEUSTART: Am 23. April tritt das geänderte Infektionsschutzgesetz in Kraft. Damit muss auch Ihr Theater wieder schließen. Was sagen Sie zu der neuen Situation?

Ripberger: Leider macht das Infektionsschutzgesetz keine sinnvollen Differenzierungen für den Kulturbereich: Weder ist die Möglichkeit vorgesehen, hoffnungsvolle Modellprojekte fortzusetzen, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen, noch werden die zahlreichen Studien zur Unbedenklichkeit von kulturellen Veranstaltungen in den aufwändig ertüchtigten Sälen zur Kenntnis genommen. Es hätte zumindest eine Unterscheidung zwischen Indoor- und Outdoor-Veranstaltungen getroffen werden müssen, damit die Hoffnung auf einen kulturellen Sommer erhalten bleibt. Pläne für Openair-Projekte liegen jetzt auf Eis, Einnahmemöglichkeiten für freischaffende Künstler*innen fallen weg – viele verlieren die Hoffnung. Pandemiegerechte Kulturangebote können funktionieren, mehr noch: wir brauchen die Künste für die gesellschaftliche Bewältigung dieser Krise. Die fortgesetzte politische Marginalisierung des Kulturbereichs ist daher nicht akzeptabel. Die Kritik, die wir jetzt äußern, darf aber nicht den falschen Kräften Wasser auf die Mühlen schaufeln – da müssen wir extrem aufpassen.

NEUSTART: Vielen Dank für das Gespräch und bleiben Sie beide gesund!


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Der wiederholte Lockdown ist für das Jugendtheaterprojekt „Sommernachtstraum“ zur Geduldsprobe geworden – die Wiederaufnahme der Proben und die Aufführung sind ungewiss. Das NEUSTART Sofortprogramm unterstützt das Wiedereröffnungskonzept der Theaterbühne im Kulturverein Platenlaase.

Es ist Donnerstag vier Uhr, als auf der Theaterbühne im Kulturverein Platenlaase die Lichter angehen. Bis zu 25 Jugendliche kommen hier in der Gemeinde Jameln in Niedersachsen zusammen, um für ihr Stück „Sommernachtstraum“ nach William Shakespeare zu proben. Die Probe beginnt mit Aufwärmübungen im großen Kreis auf der Bühne. Zu Musik wird durch Improvisation die Fläche der Bühne erkundet, Stimm- und Sprechübungen bereiten auf die Szenenarbeit vor. Die Jugendlichen üben sich in schauspielerischem Hinfallen und Ohrfeigen, bevor sie in zwei Kleingruppen unter der Regie von Carolin Serafin und Henning Karge „Die Liebenden“ und „Die Elfen“ proben. Zum Abschluss zeigen sie einander die szenischen Ergebnisse und kommen noch einmal zur gemeinsamen Lieblingsimprovisation zusammen.

Theaterproben mit Sicherheitsabstand

Auf diese bewährte Art konnten die Proben für das Theaterprojekt, das über das Programm „Jugend ins Zentrum!“ des Bundesverbands Soziokultur e.V. gefördert wird, nur für eine kurze Zeit durchgeführt werden, dann machte der erste Lockdown im März 2020 einen Strich durch die Planung. Mit der Förderung durch das NEUSTART Sofortprogramm setzte der Verein ein umfassendes Schutz- und Hygienekonzept um, das die Wiederaufnahme der Proben im späten Frühjahr ermöglichte. Im Theatersaal geben Pfeile auf dem Boden ein Leitsystem vor, Desinfektionsmittelspender stehen zur Verfügung, geprobt wird nur noch in Kleingruppen – mit Sicherheitsabstand und Masken auf der Bühne. „Es ist trotzdem nicht dasselbe, es fehlt das Gefühl des Zusammenhalts, das vor allem durch das Zusammenkommen in der großen Gruppe entsteht“, erzählt Carolin Serafin.

Die Theaterprojekte im Kulturverein Platenlaase sind inzwischen ein Selbstläufer. Jugendliche aus Vorgängerprojekten wie „Legoland“ sind häufig wieder dabei und bringen Freund*innen zum nächsten Projekt mit. Die Theaterbühne ist den meisten schon seit ihrer Grundschulzeit bekannt. Hier zeigt die Freie Bühne Wendland jedes Jahr zur Weihnachtszeit ein Theaterstück, das von den umliegenden Schulen gerne besucht wird und für viele Kinder und Jugendliche oft das einzige Theatererlebnis ist. Bei diesen Aufführungen sind auf der Bühne auch Carolin Serafin und Henning Karge zu sehen, die vielen Schüler*innen darüber hinaus bereits von schulischen Theater-Workshops bekannt sind.

Herausforderung Mobilität im ländlichen Raum

Mobilität ist die größte Herausforderung, die von den Teilnehmenden bewältigt werden muss. „Im Grunde hat hier jedes Kind erschwerten Zugang zu Kunst und Kultur“, erklärt das Projektteam. Wer an den Proben teilnehmen möchte, muss lange Fahrten im Schulbus in Kauf nehmen oder ist auf engagierte Eltern angewiesen, die die Fahrt mit dem Auto übernehmen können. Wenn kein Fahrzeug zur Verfügung steht, viele Geschwisterkinder unter einen Hut zu bringen sind oder Jugendliche in öffentlichen Einrichtungen aufwachsen, kann das zu einem Hinderungsgrund für die Teilnahme werden. In einem Jahr stand den Jugendlichen ein durch den Landkreis finanziertes Jugendmobil samt Fahrer*in zur Verfügung – ein Angebot, das dauerhaft nötig wäre.

Der zweite Corona-Lockdown ist für die Schauspielgruppe zu einer Geduldsprobe geworden. Zurzeit ruhen die Proben, viel fehlt jedoch nicht mehr, um das Stück zum Abschluss und damit auch auf die Bühne zu bringen. Das webbasierte Buchungssystem und ein Sonnensegel ermöglichen die Entzerrung von Besucher*innen im Eingangsbereich. Im Theatersaal können durch die Ausarbeitung eines neuen Sitzplanes größere Abstände eingehalten werden. Die Mitarbeiter*innen sind intensiv in Hygienemaßnahmen geschult worden und blicken dem Theatersommer ebenso erwartungsvoll entgegen wie die Jugendlichen selbst. Der „Sommernachtstraum“ ist ein Stück, das gerade jetzt auf die Bühne muss, wie Henning Karge betont: „Der Sommernachtstraum ist genau das, was wir jetzt brauchen: ein lustig-buntes, schrilles, modernes, freches Stück. Ein Feuerwerk nach Corona!“

Ein Radiobeitrag zum Thema findet sich auf der Webseite des Vereins: https://www.platenlaase.de/radio-zusa-ueber-das-jugendtheater-in-platenlaase

Platenlaase Preview: Die Schauspieler*innen stellen Charaktere des Sommernachtstraums vor

Für alle, die genug vom Homeoffice haben, für alle, denen Netflix auf der Couch nicht reicht und für alle, die endlich wieder ins Theater gehen wollen, haben einige Jungschauspieler*innen vom Kulturverein Platenlaase Figuren und Szenen zusammengestellt, die Lust machen, den ganzen Sommernachtstraum zu sehen. Live und in Farbe und vor Ort. Vorhang auf!

Hermia

Hermia ist etwas zickig und eingebildet, aber auch emotional und empfindlich. Sie liebt Lysander sehr und würde so einiges auf sich nehmen, um mit ihm zusammen sein zu können. Meine Lieblingsszene ist der Morgen von Theseus‘ und Hippolytas Hochzeit, als die vier Liebenden aufwachen. Sie reden gemeinsam über ihre Erlebnisse und Erinnerungen an die Nacht und all der Schmerz, die Sorge, der Zweifel und die Wut scheinen wie ausgelöscht. Die vier sind sich einig und gehen als Gruppe gemeinsam zur Hochzeit von Theseus und Hippolyta. (Karla, 15)

Handwerker Schnauz

Handwerker Schnautz

Ich bin Kevin und bin in einer Wohngruppe in Dannenberg. Ich spiele im Stück den Handwerker Schnauz. Schnauz ist ein sehr verpeilter Handwerker, ich glaube sogar, der dümmste. Ich mag diese Rolle, man hat wenig Text, aber muss sehr viel an seiner Mimik üben. Außerdem macht die Zusammenarbeit mit Carolin und Henning sehr viel Spaß. Die Gruppe ist auch ganz nett und ich komme gut mit allen klar.
Ich hoffe, wir können dieses Stück noch aufführen. (Kevin, 15)

Elf Senfsamen

Elf Senfsamen
Senfsamen ist ein Elf, der seiner Königin zwar jeden Wunsch erfüllt und zu seinen Artgenossen hält, zu anderen Gestalten aber häufig giftig und biestig ist. Er kann jedoch auch niedlich sein, wenn er will. (Was allerdings sehr selten der Fall ist.) Ich fühle mich sehr wohl in der Rolle, da Senfsamen sich wild und natürlich, nicht so zivilisiert verhält, was ich total mag, da ich Zivilisation manchmal echt nervig finde. Meine Lieblingsszene ist, als Oberon und Titania sich mit großem Spektakel um das Waisenkind streiten. (Marina, 14)

Handwerker Peter Squenz

Handwerker Squenz

Squenz ist ein androgyner und sehr liebenswürdiger Charakter und kann kaum jemandem böse werden. Dass er jedoch recht unsicher ist und nicht gerade das höchste Maß an Geduld hat, wird besonders deutlich durch die (möglicherweise ungewollten) Provokationen des Handwerkers Klaus Zettel.
Squenz liebt die Kunst und ist doch nicht wirklich künstlerisch, was ihm jedoch zum Leid anderer entgeht. Seine loyale und äußerst ehrliche Art ist bewundernswert und besonders in der Szene, in welcher Zettel vermisst wird, berührt mich seine zutiefst ehrliche Sorge jedes Mal. (Ron, 19)

Elfenkönig Oberon

Elfenkönig Oberon

Oberon ist im Streit mit seiner Frau Titania und belegt sie deswegen mit einem Zauber. Er ist ein temperamentvoller Herrscher, der sehr von sich überzeugt ist. Er ist cholerisch und lässt sich ungern auf der Nase herumtanzen. Zusammen mit seinem Gefolge und seinem Diener Puck setzt er seine Meinung immer durch. Gerade, weil ich normalerweise ein etwas ruhigerer Mensch bin, ist es sehr toll, eine so andere Rolle auf der Bühne zu verkörpern. Meine Lieblingsszene ist die erste Szene von Oberon und Titania. Sie streiten sich, aber neben dem Streit merkt man auch, dass die beiden Figuren sich sehr vertraut sind. (Hagen, 16)

Eine andere Version dieses Textes ist erschienen in SOZIOkultur Heft 1/2021


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