Mal wieder die Bass Drum in der Magengrube spüren, die Bewegung der vorbeihuschenden Schauspieler*innen auf der Haut fühlen, vor einem echten Exponat stehen: In Zeiten des Corona-Virus ist das am besten draußen möglich. Verschiedene Frischluftideen zeigen der Klub Solitaer e.V., das Theater unter den Kuppeln und das Kunstforum der Technischen Universität Darmstadt.

Nach monatelanger Isolation und Vorbereitung lassen es Wetter und Inzidenz endlich zu, dass Kultur zumindest unter freiem Himmel in verschiedenen Formen stattfinden kann. Während der Klub Solitaer e.V. in Chemnitz ein neues Areal für seine neue Outdoor-Veranstaltungsstätte erschließt, entwickelt das Theater unter den Kuppeln in Leinfelden-Echterdingen ein pandemieflexibles Format auf dem eigenen Gelände. Das Kunstforum der TU Darmstadt erobert mit monumentalen Exponaten hingegen den öffentlichen Raum der Stadt.

Aus Brachland wird Band-Land

Seit Mitte Juni 2021 darf im Kulturraum Lokomov des Klubs Solitaer e.V. unter freiem Himmel wieder gesungen, gespielt, gelesen, gehört, gesehen und gespürt werden. Platz dafür bietet eine 1.300 Quadratmeter große Brache hinter dem Lokomov, die mit einer überdachten Outdoor-Bühne, einer Außentheke, neun Wetterschutzschirmen, acht Zuschauerinseln, Stühlen und Tischen erschlossen und revitalisiert wurde. Der Weg dorthin war ein visionärer: Auch wenn es im Frühjahr 2020 eine Herausforderung war, an Wiedereröffnung zu glauben, erarbeiteten die Vorstände Mandy Knospe und Robert Verch Vereinsmitglieder sowie ein Produktdesigner in kürzester Zeit ein nachhaltiges Konzept, das es erlaubt, alle Veranstaltungen draußen stattfinden zu lassen.

Finanziert wurde diese wohldurchdachte Planung über das NEUSTART Sofortprogramm. Bis zu 100 Personen (Stand Juni 2021) können nun draußen in vordefinierten Zonen, die die Wahrung von Abständen sicherstellen, überregionalen Bands lauschen und an Lesungen, Filmscreenings und Workshops teilnehmen. Auch den Regen müssen die Zuschauer*innen dank der Wetterschutzschirme nicht fürchten. Eine spielerische Konstruktion aus Gummiseilen, die um Robinienstämme gewickelt sind, macht die Grenzen der gezogenen Zonen blickdurchlässig, sodass Kultur gemeinsam, aber mit Sicherheitsabstand tiefenentspannt erlebt werden kann.

Von einer Freilichtbühne zu fünf Theaterinseln

„Gemischte Gefühle“ ist nicht nur der Titel eines Stücks des Theaters unter den Kuppeln in Leinfelden-Echterdingen, auch die Zuschauer*innen durchlaufen ein breites Spektrum an Emotionen. Denn das wandlungsfähige und damit resiliente Freiluft-Format umfasst fünf kurze Theaterstücke, die von Komödie bis Drama reichen. Die Zuschauer*innen werden auch körperlich gefordert. Denn die jeweils 15-minütigen Vorstellungen sind auf fünf verschiedene Stationen auf dem gesamten Gelände verteilt. Dabei entsteht durch den Wechsel von Stehen und Gehen die Einnahme ungewöhnlicher Blickwinkel – zum Beispiel von einer Kuppel auf die Bühne – ein völlig anderes Unterhaltungserlebnis als beim Theaterabend auf dem Stuhl.

Diese Theaterreise ist eine logistische Herausforderung, denn alle vier Zuschauer*innengruppen müssen von Personal begleitet werden. Zeitliche Kollisionen würden zwangsläufig zu physischen Kollisionen führen, sodass die Taktung unbedingt einzuhalten ist. Ein großer logistischer Aufwand für das schwäbische Theater, das bereits über eine große Freilichtbühne verfügt. Doch wie Theater-Vorstand Ralph Brückner betont, schafft dies Flexibilität. Die Aufführungen sind nämlich inhaltlich voneinander unabhängig, sodass sie bei plötzlichen Quarantäne- und Krankheitsfällen beliebig getauscht oder weggelassen werden können. Auch die Kontaktbeschränkungen spielen bei den Solo-Performances im Probenbetrieb keine Rolle. Dank des neuen Indoor- und Outdoor-WLAN, das durch das NEUSTART Sofortprogramm finanziert wurde, konnten auch Proben für andere Stücke mit mehreren Schauspieler*innen reibungslos online stattfinden.

Think open, think big, think public

Optisch meistens hochkant, der Zugang immer niederschwellig – so sind die Ausstellungen des Kunstforums der TU Darmstadt im öffentlichen Raum der hessischen Großstadt. Die meist vier auf drei Meter großen Gerüste, die durch das NEUSTART Sofortprogramm angeschafft wurden, ragen an sechs verschiedenen öffentlichen Plätzen in die Höhe. Sie sind bespannt mit imposanten wetterfesten Fotografien, die je nach Ausstellung ausgetauscht und kostenlos bestaunt werden können.

Der Größe dieser gigantischen Exponate kann sich niemand entziehen. Viele Passant*innen bleiben stehen und nicht selten kommt die Reaktion: „Wie gut es tut, endlich wieder Kunst zu sehen.“ Wenn es das Infektionsgeschehen zulässt, finden öffentliche Führungen unter Einhaltung der vorgeschriebenen Personenbegrenzung statt. Ob privat oder in der geführten Gruppe, die unmittelbare Präsenz der Kunstwerke ist essenziell. Julia Reichelt, die Leiterin des Kunstforums, beschreibt die Notwendigkeit dieser Unmittelbarkeit so: „Kunst lebt von der Kommunikation und die findet live vor Ort statt.“

Soziokultur, Theater und Kunst im Freien erleben

Dass Kultur in der direkten Begegnung erlebt werden muss und niemals komplett durch digitale Alternativen ersetzt werden kann, ist die treibende Kraft aller drei vorgestellten Kultureinrichtungen. Kultur an der frischen Luft hat viele Formen und Orte. Sowohl für die Sicherheit als auch für das Unterhaltungserlebnis zahlen sich Kreativität, Weitblick und Zuversicht bei der Gestaltung von Outdoor-Formaten immer aus. Denn am Ende bleiben glückliche Gemüter, die dankbar sind, dass Kultur endlich wieder mit allen Sinnen gelebt werden kann.


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