Auf fatale Weise traf die Pandemie die gesamte Kulturbranche. Verschieden waren jedoch die Voraussetzungen, um ihr zu begegnen. Besonders im ländlichen Raum waren die meist kleineren Kulturbetriebe mit der Extremsituation konfrontiert. Die oft ehrenamtlichen Schultern, auf denen sie ruhen, drohten zu überlasten.

Der ländliche Raum birgt wegen der grundsätzlich dünnen Besiedelung Freiräume für Kulturschaffende. Im Gegensatz zur verdichteten Großstadt findet sich vielfach Leerstand, der besetzt werden kann. Kulturorte verfügen hier oft über größere Außenbereiche oder zumindest über einen unmittelbaren Zugang zur Natur. Das birgt Vorteile, wenn es um Abstandsregeln und die Vermeidung von erhöhten Aerosolkonzentrationen geht.

Ländlicher Raum ist geprägt von Breitenkultur, einem meist niedrigschwelligen Kulturangebot mit Nähe zur Lebensrealität der Menschen vor Ort – einer Nähe, die ein Wir-Gefühl erzeugt, auf welchem ehrenamtliche Kulturarbeit aufbaut. Das Ehrenamt ist die tragende Stütze vieler Einrichtungen, ganz besonders auf dem Land. Das sind Vorzüge, die sich im Stresstest der Pandemie in Nachteile verkehren können, wenn die Breitenkultur mit einem schleppenden Ausbau des Breitbandnetzes ringt, die Ehrenamtlichen zu einem großen Teil Risikogruppen angehören und Kinder und Jugendliche, die primär über die Schule oder Kita erreicht werden, dort nicht mehr anzutreffen sind. Hinzu kommt das Problem der mangelhaften Verkehrsinfrastruktur und eingeschränkten Mobilität bei häufig weiten Anfahrtswegen.

Lösungsansätze in Pandemie-Zeiten

„Solange das Wettermitspielt, kann hier kurzfristig in den eigenen Garten oder auf die angrenzende Weide ausgewichen werden“, schildert Alina Wander von WaWiTo in Mecklenburg-Vorpommern. WaWiTo steht für Wald, Wiese und die Tollense, den örtlichen Fluss. Die Natur spielt für das soziokulturelle Zentrum mit seinem Kunst- und Bildungsangebot eine übergeordnete Rolle. Dank dem NEUSTART Sofortprogramm sind die Akteur*innen in Tückhude nun auch mit Kamera, Aufnahmegeräten, Computern und Beamer ausgestattet und können dies für ihre Kulturarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einsetzen. Alina Wander ist optimistisch: „Wir schaffen den Neustart! Dank digitaler Professionalisierung.“

Der Land & Kunst e.V. im niedersächsischen Asendorf, der dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert, hat Einzelpersonen, Paare und Familien zum Gespräch auf die sogenannte „Corona-Bank“ eingeladen. So wurden auf einer Bank im Grünen Begegnungen mit Abstand wieder Austausch von Eindrücken und Geschichten möglich. „Viele Gedanken, viel Innehalten und Hoffnung auf Wandel – viel Leben bekam so einen Raum“, berichtet Geschäftsführer Peter Henze. Leben, das mit Bild- und Videotechnik für die Nachwelt festgehalten wurde und nun in die Außenwelt gesendet werden kann. Die technische Grundaustattung, die neue digitale Angebote erst ermöglicht, wurde vom NEUSTART Sofortprogramm gefördert. Die Beantragung der Förderung und die Durchführung der Maßnahme haben die Vereinsmitglieder mit vereinten Kräften gestemmt. Doch gerade das Einwerben von Fördermitteln ist für kleine Vereine, die wie Land und Kunst häufig zum Großteil ehrenamtlich arbeiten, eine große Herausforderung.

Einige Einrichtungen stellten bei NEUSTART ihren ersten Fördermittelantrag. Auch das Pfahlbauten Museum am Bodensee mit bis zu 300 000 Besucher*innen jährlich, bekamen erstmals „Geld aus Berlin“, wie es in Unteruhldingen heißt. Das älteste Freilichtmuseum in Deutschland ermöglicht Besucher*innen Steinzeitdörfer am Strand zu inspizieren und anschließend auf Pfählen im Wasser befestigte Siedlungen der Bronzezeit zu besichtigen. Mit der Förderung wurden analoge und digitale Maßnahmen entlang der gesamten „Visitor Journey“ umgesetzt. Begonnen bei Inhalten für den Internetauftritt, einem virtuellen Rundgang, einem Online-Ticketing-System, über Tensatoren für das Leitsystem, eine Wandzeitung als „fliegende Ausstellung“ für den Außenbereich des Freilichtmuseums bis hin zu einem ergänzenden WC-Container, der in jenem besonderen Ballungsbereich entzerrend wirkt, wurde hier ein ganzheitlicher Ansatz gewählt.

Kein „Weiter so!“

Wie kann der ländliche Neustart aussehen? Kulturschaffende auf dem Land antworten darauf immer wieder mit dem Wunsch nach Sichtbarkeit, mit der Sorge, neben den großen Häusern und Leuchtturmprojekten im urbanen Raum in Vergessenheit zu geraten, und mit der Hoffnung, dass die Politik den Mut findet, sich zu ihrem ländlichen Kulturbetrieb zu bekennen und ihn nachhaltig zu stützen. Sie unterstreichen, der Neustart oder besser die Post-Corona-Zeit dürfe keine Rückkehr zu einem Zustand vor Corona werden, denn schon zuvor bestanden erhebliche Mängel zu Lasten der kulturellen Arbeit auf dem Land. Ein „Weiter so!“ soll es in keinem Fall werden.

Die Pandemie als Kontrastmittel

Mit NEUSTART konnten aus einer Notsituation heraus vielerorts überfällige erste Schritte, wie die im Bereich der Digitalisierung, unternommen werden. Die Pandemie hat als Kontrastmittel gewirkt und althergebrachte Problemfelder noch schärfer zu Tage treten lassen. Der Bedarf und der Wunsch, digitale und analoge Räume überhaupt und besser gestalten zu können, waren bereits weit vor der Pandemie ausgeprägt. Die Ausnahmesituation der vergangenen Monate hat den Handlungsdruck auf allen Ebenen noch einmal deutlich verstärkt.

Das NEUSTART Sofortprogramm kann nur ein Anstoß für die Kulturlandschaft sein, an welchen trotz und gerade wegen geleerter Kassen und Pandemiefolgen angeknüpft werden muss, damit daraus eine nachhaltige Entwicklung erwächst. Die geförderten Akteur*innen betonen in vielen Fällen, dass Kultur in den Kommunen nicht länger eine freiwillige Aufgabe sein sollte und unterstreichen ihre gesellschaftliche Relevanz. Sowohl die Museen als auch die Bühnen und die Soziokultur werden, wenn sie eine gesellschaftliche Gestaltungsfunktionbehalten wollen, auch nach dieser einen spezifischen Krise um geeignete Rahmenbedingungen kämpfen müssen – besonders auf dem Land.


Weitere Informationen:

Das Hamburger Kindermuseum Kl!ck und die Alte Papierfabrik Greiz sind für die dort beheimateten Menschen wichtige Orte des kulturellen Erlebens und Austausches. Mit der Förderung durch das NEUSTART Sofortprogramm haben sie sich auf die Fortsetzung ihrer kulturellen Arbeit vorbereitet. Für die Zukunft wünschen sie sich die Stärkung von Kinderrechten und Ehrenamt sowie die Förderung von pandemiebedingten Mehrkosten.

Die Siedlung Osdorfer Born wurde 1967-1972 errichtet und entstammt dem stadtplanerischen Konzept des urbanen Wohnens am Stadtrand. Charakteristisches Merkmal sind die Hochhäuser mit versetzt angebrachten asymmetrischen Balkonen. Seit 2004 bereichert das Kl!ck Kindermuseum Hamburg auf 2 500 Quadratmetern das Viertel im Westen der Hansestadt. Ein Aufenthalt in den USA, woher das Konzept der kids museums stammt, inspirierte Margot Reinig zur Gründung des Kl!ck. Der Zugang zum Museum ist niedrigschwellig. Für Bewohner*innen des Quartiers ist der Eintritt umsonst. Im Rahmen der Quartiersarbeit gibt es Angebote wie die „Leselibelle“, das Außengelände bietet eine Baustelle mit Kran und echten Mauersteinen. „Wir wollten da sein, wo viele Kinder sind und wo wir gebraucht werden“, erklärt Reinig. Mittlerweile ist das Museum eine Institution im Viertel, jede*r kann beschreiben, wo es zu finden ist.

350 Kilometer entfernt begaben sich Anfang der 2000er Jahre Jugendliche auf die Suche nach einem Ort für eine Technoparty. Als sie auf den ehemaligen VEB Papierfabrik Greiz stießen, hätten sie nicht gedacht, dass sich daraus ein bunter Treffpunkt für Menschen aus der ländlichen Region entwickeln würde. Einer dieser Jugendlichen war der heutige Vorstand des soziokulturellen Zentrums, Peter Schmidt. „Nach und nach wurde uns der historische Wert der ehemaligen Fabrik bewusst. Als 2004 die Abrissbirne drohte, gründeten wir den Verein Alte Papierfabrik Greiz e.V., um das Gebäude zu erhalten und für soziokulturelle Zwecke zu nutzen“, erinnert sich der 38-Jährige. Mit den Jugendlichen ist auch der Verein erwachsen geworden. Die Pappe, wie sie liebevoll genannt wird, arbeitet inzwischen mit anderen Vereinen, Künstler*innen und kommunalen Institutionen eng zusammen. Die wöchentlichen Konzerte sowie Theater- und Jugendprojekte leisten für die strukturschwache Ostthüringer Region einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt.

Pandemiebedingt geschlossen

Ins Kl!ck kommen jährlich etwa 50 000 Besucher*innen, die Hälfte davon sind Schulklassen oder Kitagruppen. Die Schließung empfand Reinig für die Kinder als Katastrophe, denn die Einrichtung ist ein Ort, an dem Kinder jenseits einer bestimmten Erwartungshaltung über Fragen wirklich nachdenken dürfen. „Wir geben Anstöße und stellen Material zur Verfügung, sind aber immer ergebnisoffen“, beschreiben Reinig und ihre Mitarbeiterin Judith Rädlein ihren Ansatz. Um zumindest zu den Kindern aus der Nachbarschaft den Kontakt zu halten, verschickt das Team wöchentlich etwa 150 Bastelpakete, für viele das Highlight der Woche.

Auch die Pappe ist für die Menschen aus der Region ein offenes Haus, wo immer jemand anzutreffen ist. „Es ist schön, wenn ein*e Papiermacher*in von früher uns auf einen Kaffee besucht und Geschichten aus der Vergangenheit der Papierfabrik erzählt“, berichtet Schmidt. Nachdem im vergangenen Sommer noch einzelne Veranstaltungen durchgeführt werden konnten, sind die Tore der Pappe seit November 2020 für die Öffentlichkeit geschlossen.

Bereit für eine pandemiegerechte Öffnung

Das Hygienekonzept des Kindermuseums berücksichtigt die Erfordernisse eines Museums, bei dem das persönliche Erleben und Ausprobieren für die Wissensvermittlung zentral ist. Mehrmals täglich erfolgt eine Reinigung aller Gegenstände, Griffe und Toiletten. Am Eingang sind vier neu erworbene Desinfektionsspender auf verschiedene Höhen eingestellt, damit eine Familie sie gleichzeitig nutzen kann. Die Ausstellungsbereiche wurden voneinander getrennt, ein System lässt nur eine bestimmte Anzahl an Menschen zu. Dann zeigt die Ampel rot und signalisiert, dass kein Eintritt mehr möglich ist. Da jede Ausstellung für sich abgegrenzt ist, kann auf weniger frequentierte Räume ausgewichen werden. „Eltern und Erzieher*innen, die dies bislang nutzen konnten, waren sehr angetan. Die Kinder finden die Besucherzählung toll und rennen gerne hin und her, um den Farbeffekt zu beobachten. Wir können jederzeit wiedereröffnen, das Haus ist bereit“, erläutert Reinig. Mit Blick auf den bevorstehenden Sommer plant sie, zunächst den weiträumigen Außenbereich zu öffnen.

Die Zeit der Schließung haben die Ehrenamtlichen der Pappe genutzt, um die Kulturgarage – den zentralen Veranstaltungsort – mit der Förderung durch das NEUSTART Sofortprogramm mit Streaming-Equipment digital aufzurüsten und für einen pandemiegerechten Betrieb umzubauen. Tina Weidhaas, Projektmanagerin der Pappe, sieht großes Potential in der neuen Streaming-Technik, die auch Kulturschaffenden aus der Region zur Verfügung steht. So könnten mehr Menschen den Konzerten folgen und zeitgemäße Formate für Jugendliche entwickelt werden. Doch die pandemische Entwicklung bremste die digitalen Pläne vorerst aus, so dass bisher nur ein Stream mit der Astronomischen Gesellschaft Greiz e.V. umgesetzt wurde. „Bisher konnten keine weiteren Streams realisiert werden, da die ehrenamtliche Arbeit der Vereinsmitglieder als Freizeitgestaltung eingestuft wird und sie deshalb nicht arbeiten dürfen“, stellt Weidhaas konsterniert fest. Sie geht davon aus, dass die Stärkung des Ehrenamts dem Mitgliederschwund vieler Kultureinrichtungen entgegengewirkt hätte. Zudem wäre es dann leichter, die ehrenamtliche Arbeit, die gerade im ländlichen Raum viele strukturelle Lücken schließt, wiederaufzunehmen.

Vorfreude auf Kulturangebote

Für die bisherige Unterstützung des Kindermuseums durch den Bund und die Hamburger Behörden ist Reinig dankbar. Angesichts der Vielzahl kreativer Maßnahmen, die im Kulturbereich entwickelt wurden, blickt sie optimistisch in die Zukunft. Die pandemiegerechte Öffnung hat aber ihren Preis, da weniger Besucher*innen kommen können, aber mehr Personal für pädagogische Angebote, Verwaltung und Reinigung benötigt wird. Deswegen ist es wichtig, dass diese Mehrkosten gefördert werden. Ein weiteres Anliegen Reinigs ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen, denn gerade in der Pandemie wurde vieles beschlossen, ohne sie anzuhören. Im Osdorfer Born ist Beteiligung längst an der Tagesordnung. „Ohne die Osdorf-Kiddies wird im Quartier kein Spielplatz umgestaltet“, berichtet Margot Reinig. Sie und Rädlein können es kaum erwarten, dass sich ihr Kinderkulturzentrum wieder mit Leben füllt: „Wir fiebern der Öffnung entgegen, uns fehlen die Kinder so sehr.“

In der Pappe konzentrieren sich alle auf das Open-Air am 13. und 14. August, bei dem sechs Bands auftreten und ein mit dem Theater- und Kulturförderverein der Vogtlandhalle e.V. entwickeltes Theaterstück aufgeführt wird. „Für die Menschen der Region hoffen wir, ein Live-Erlebnis zu schaffen, das es sonst im näheren Umkreis so nicht gibt“, freut sich Weidhaas auf das Highlight des Vereinsjahres. Da aktuell maximal 150 Personen auf dem Gelände zugelassen sind, ist der Verein auf weitere Förderung angewiesen, um den Künstler*innen angemessene Gagen zu zahlen. Ob Tina Weidhaas und Peter Schmidt gemeinsam mit den Greizer*innen auf dem Open-Air auch das Tanzbein schwingen dürfen, ist wegen der geltenden Bestimmungen noch ungewiss.
Sicher hingegen ist, dass das Kl!ck in Hamburg und die Alte Papierfabrik in Greiz einen pandemiegerechten Betrieb gewährleisten können und mit ihrer Arbeit auch in Zukunft zur kulturellen Vielfalt beitragen möchten.


Weitere Informationen

 

Der Artikel ist erschienen in der Zeitschrift SOZIOkultur zum Thema KOMMUNE [ Heft 2/2021 ]