19. Juli 2021

#neustartwirkt in Stadt und Land, Förderbereich Museen, Ausstellungshallen und Gedenkstätten, Förderbereich soziokulturelle Zentren und Kulturhäuser

Kultur auf dem Land während der Pandemie

Von: Johann Basko

Auf fatale Weise traf die Pandemie die gesamte Kulturbranche. Verschieden waren jedoch die Voraussetzungen, um ihr zu begegnen. Besonders im ländlichen Raum waren die meist kleineren Kulturbetriebe mit der Extremsituation konfrontiert. Die oft ehrenamtlichen Schultern, auf denen sie ruhen, drohten zu überlasten.

Der ländliche Raum birgt wegen der grundsätzlich dünnen Besiedelung Freiräume für Kulturschaffende. Im Gegensatz zur verdichteten Großstadt findet sich vielfach Leerstand, der besetzt werden kann. Kulturorte verfügen hier oft über größere Außenbereiche oder zumindest über einen unmittelbaren Zugang zur Natur. Das birgt Vorteile, wenn es um Abstandsregeln und die Vermeidung von erhöhten Aerosolkonzentrationen geht.

Ländlicher Raum ist geprägt von Breitenkultur, einem meist niedrigschwelligen Kulturangebot mit Nähe zur Lebensrealität der Menschen vor Ort – einer Nähe, die ein Wir-Gefühl erzeugt, auf welchem ehrenamtliche Kulturarbeit aufbaut. Das Ehrenamt ist die tragende Stütze vieler Einrichtungen, ganz besonders auf dem Land. Das sind Vorzüge, die sich im Stresstest der Pandemie in Nachteile verkehren können, wenn die Breitenkultur mit einem schleppenden Ausbau des Breitbandnetzes ringt, die Ehrenamtlichen zu einem großen Teil Risikogruppen angehören und Kinder und Jugendliche, die primär über die Schule oder Kita erreicht werden, dort nicht mehr anzutreffen sind. Hinzu kommt das Problem der mangelhaften Verkehrsinfrastruktur und eingeschränkten Mobilität bei häufig weiten Anfahrtswegen.

Lösungsansätze in Pandemie-Zeiten

„Solange das Wettermitspielt, kann hier kurzfristig in den eigenen Garten oder auf die angrenzende Weide ausgewichen werden“, schildert Alina Wander von WaWiTo in Mecklenburg-Vorpommern. WaWiTo steht für Wald, Wiese und die Tollense, den örtlichen Fluss. Die Natur spielt für das soziokulturelle Zentrum mit seinem Kunst- und Bildungsangebot eine übergeordnete Rolle. Dank dem NEUSTART Sofortprogramm sind die Akteur*innen in Tückhude nun auch mit Kamera, Aufnahmegeräten, Computern und Beamer ausgestattet und können dies für ihre Kulturarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einsetzen. Alina Wander ist optimistisch: „Wir schaffen den Neustart! Dank digitaler Professionalisierung.“

Der Land & Kunst e.V. im niedersächsischen Asendorf, der dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert, hat Einzelpersonen, Paare und Familien zum Gespräch auf die sogenannte „Corona-Bank“ eingeladen. So wurden auf einer Bank im Grünen Begegnungen mit Abstand wieder Austausch von Eindrücken und Geschichten möglich. „Viele Gedanken, viel Innehalten und Hoffnung auf Wandel – viel Leben bekam so einen Raum“, berichtet Geschäftsführer Peter Henze. Leben, das mit Bild- und Videotechnik für die Nachwelt festgehalten wurde und nun in die Außenwelt gesendet werden kann. Die technische Grundaustattung, die neue digitale Angebote erst ermöglicht, wurde vom NEUSTART Sofortprogramm gefördert. Die Beantragung der Förderung und die Durchführung der Maßnahme haben die Vereinsmitglieder mit vereinten Kräften gestemmt. Doch gerade das Einwerben von Fördermitteln ist für kleine Vereine, die wie Land und Kunst häufig zum Großteil ehrenamtlich arbeiten, eine große Herausforderung.

Einige Einrichtungen stellten bei NEUSTART ihren ersten Fördermittelantrag. Auch das Pfahlbauten Museum am Bodensee mit bis zu 300 000 Besucher*innen jährlich, bekamen erstmals „Geld aus Berlin“, wie es in Unteruhldingen heißt. Das älteste Freilichtmuseum in Deutschland ermöglicht Besucher*innen Steinzeitdörfer am Strand zu inspizieren und anschließend auf Pfählen im Wasser befestigte Siedlungen der Bronzezeit zu besichtigen. Mit der Förderung wurden analoge und digitale Maßnahmen entlang der gesamten „Visitor Journey“ umgesetzt. Begonnen bei Inhalten für den Internetauftritt, einem virtuellen Rundgang, einem Online-Ticketing-System, über Tensatoren für das Leitsystem, eine Wandzeitung als „fliegende Ausstellung“ für den Außenbereich des Freilichtmuseums bis hin zu einem ergänzenden WC-Container, der in jenem besonderen Ballungsbereich entzerrend wirkt, wurde hier ein ganzheitlicher Ansatz gewählt.

Kein „Weiter so!“

Wie kann der ländliche Neustart aussehen? Kulturschaffende auf dem Land antworten darauf immer wieder mit dem Wunsch nach Sichtbarkeit, mit der Sorge, neben den großen Häusern und Leuchtturmprojekten im urbanen Raum in Vergessenheit zu geraten, und mit der Hoffnung, dass die Politik den Mut findet, sich zu ihrem ländlichen Kulturbetrieb zu bekennen und ihn nachhaltig zu stützen. Sie unterstreichen, der Neustart oder besser die Post-Corona-Zeit dürfe keine Rückkehr zu einem Zustand vor Corona werden, denn schon zuvor bestanden erhebliche Mängel zu Lasten der kulturellen Arbeit auf dem Land. Ein „Weiter so!“ soll es in keinem Fall werden.

Die Pandemie als Kontrastmittel

Mit NEUSTART konnten aus einer Notsituation heraus vielerorts überfällige erste Schritte, wie die im Bereich der Digitalisierung, unternommen werden. Die Pandemie hat als Kontrastmittel gewirkt und althergebrachte Problemfelder noch schärfer zu Tage treten lassen. Der Bedarf und der Wunsch, digitale und analoge Räume überhaupt und besser gestalten zu können, waren bereits weit vor der Pandemie ausgeprägt. Die Ausnahmesituation der vergangenen Monate hat den Handlungsdruck auf allen Ebenen noch einmal deutlich verstärkt.

Das NEUSTART Sofortprogramm kann nur ein Anstoß für die Kulturlandschaft sein, an welchen trotz und gerade wegen geleerter Kassen und Pandemiefolgen angeknüpft werden muss, damit daraus eine nachhaltige Entwicklung erwächst. Die geförderten Akteur*innen betonen in vielen Fällen, dass Kultur in den Kommunen nicht länger eine freiwillige Aufgabe sein sollte und unterstreichen ihre gesellschaftliche Relevanz. Sowohl die Museen als auch die Bühnen und die Soziokultur werden, wenn sie eine gesellschaftliche Gestaltungsfunktionbehalten wollen, auch nach dieser einen spezifischen Krise um geeignete Rahmenbedingungen kämpfen müssen – besonders auf dem Land.


Weitere Informationen:

Autor*innen

  Johann Basko Förderreferent NEUSTART Sofortprogramm

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